Maria Art
Mittwoch, 23. September 2015
Donnerstag, 2. Juli 2015
Kurzgeschichte
Rentner und die Zeit
Auch an der schönen Costa Blanca ist es nicht anders. Da
laufen die Uhren zwar ein wenig gemächlicher, aber diese eine Tatsache, diese
eine Gegebenheit…, die Sache mit der Zeit, das holt einen auch dort, irgendwann
mal gnadenlos ein.
Vor Jahren, als wir uns dazu entschlossen haben unser
Lebensabend hier zu verbringen, waren wir noch optimistisch. Wir dachten die
Zeit könnte ab und an stehen bleiben,
die würde langsamer ablaufen als sonst, oder zumindest würden wir dieses
Gefühl dafür entwickeln, bei dieser plötzlich entstandenen und viel zu viel
vorhandenen Freizeit.
Ohne Arbeit, ohne Stress, mit dem endlos langen Stunden, die
so ein Tag zum bieten hat.
Der Tag hat tatsächlich nur eine begrenzte Zahl an Stunden
zu Verfügung, auch nicht mehr und auch nicht weniger… genau so viel wie früher.
Nur so lange wir damals in diese Stunden alles zum reinpacken versuchten, neben
die Arbeit; die Kinder, den Haushalt, die Hobbys, die Freunde, das Einkaufen, das
Vergnügen… standen sie auf einmal unausgefüllt und leer vor uns da.
Und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben, dachte ich.
Am Anfang genossen wir noch diese schöne, neue, unbekannte
Erfahrung und wenn uns ab und an doch noch das plötzlich aufgetretene schlechte
Gewissen plagte - ob wir soviel Luxus
überhaupt verdient haben - zwangen wir uns gleich zur Einsicht und lieferten
die passende Erklärung dazu:
- Ja, wir sind jetzt Rentner… das ist jetzt unsere Zeit! Wir
können tun und lassen, was wir wollen… schlafen und wen es sein muss den ganzen
langen Tag, ohne den lästigen Wecker… Essen und Trinken, wann und wo es uns
gefällt oder danach ist, und faulenzen so lange…so lange es unsere
angeschlagene Wirbelsäule nur aushält.
Jedoch nach ein paar Monaten, völlig überraschend und ganz
unbemerkt schleicht sich die alte Gewohnheit wieder ein. Langsam fängt es an,
breitet sich aus wie ein grippaler Infekt, ohne Vorwarnung, ohne Ankündigung
und eher du dich versiehst, ist es ja schon zu spät, es ist schon passiert und
die Geschehnisse nehmen ihren lauf.
Bei uns meldete sich dieses Symptom auf eine sehr
merkwürdige Art und Weise.
Mein Mann fing eines Tages an, die Schlafzimmerrollos nicht
mehr herunterzulassen. Die bis dahin vorhandene und angenehme Dunkelheit, die
mir bis dato mein Zeitgefühl völlig ausgeschaltete und mir eine angenehme Ruhephase ermöglichte -
der nur durch das steigernde Hungergefühl unterbrochen werden konnte - war
plötzlich weg.
Auf einmal drang die Sonne - ohne sich dafür zu endschuldigen
- immer aufdringlicher in die
Räumlichkeiten hinein. Mit zunehmender Kraft schien sie auf unsere Gesichter,
kitzelte die noch verschlossenen Augenlieder und lachte tanzend auf unseren
ganzen Körper.
- Wir müssen aufstehen, kuck mal wie schön es draußen ist! -
sagte überraschend mein Mann mit einem lauten Seufzer und starte durch das
offene Fenster.
- Ja, gleich. Nur noch ein bisschen. Es läuft uns doch
nichts davon. – brummte ich leise.
Aber nach einigen Umdrehungen erklang wieder seine begeisterte Stimme, der
gleichzeitig die um uns liegende Natur mit all ihren Einzelheiten ausmalte, und
zur der Teilnahme an diese wundersame Ereignis motivierte. Irgendwann gab ich
geschlagen auf.
Die folgenden Wochen und Monate stellten mich auf eine harte
Probe. Die Sonne erschien immer früher auf der Bildfläche, und jedes Mal wurden
mir die draußen stattgefundenen Veränderungen, mit hinreißenden Wörtern
vorgeführt. Damit wurde ich dazu getrieben, mein kuscheliges Bett endlich zu
verlassen.
- Und jetzt machen wir einen ausgiebigen Spaziergang – hörte
ich eines Tages – und das vielleicht
noch vorm Frühstück und dann Schwimmen wir noch ein paar Runden… und dann
widmen wir uns den Garten zu…und dann machen wir einige Einkäufe…und dann
fahren wir noch am Strand…und dann dies
und dann das.
Seine Aufzählungen schienen kein Ende zu nehmen.
Ich folgte die Aufforderungen - zwar mit Widerwillen - aber
was blieb mir auch anders übrig, als an diesen vielen Aktivitäten teilzunehmen? Ich wünschte mir ab
und an, er möge sich doch mal ganz dringend nur an diese eine nackte Tatsache
erinnern… dass wir jetzt Rentner waren.
Rentner mit Zeit, mit Ausgelassenheit und mit einem etwas langsameren Tagesablauf.
Doch er schien gerade diesen letzten Abschnitt des Lebens
und die damit verbundenen Annehmlichkeiten des Alltags vergessen zu haben.
Unser Tag war plötzlich wieder ausgefüllt. Wir rasten von
einem Termin zum anderen und als wir auch noch mehrere mit ähnlichen
Bedürfnissen ausgestattete Menschen kennenlernten, war es endgültig aus mit meiner
letzten Hoffnung auf ein wohlverdientes Pensionierungsdasein.
Wir gingen wandern und zwangen uns mühselig durch das
Gestrüpp, begleitet von einigen schmerzhaften Blasen welches das neue Schuhwerk
verursachte, machten Einladungen oder besuchten die an den weitgelegensten Orten residierenden
„Leidensgenossen“.
Beim Einkaufen drängte ich mich auf einmal ungeduldig an der
Kasse vor und schubste, rempelte die Leute an, forderte sie genervt auf, sich
ein wenig schneller zu bewegen. Schließlich hatte ich ja gar keine Zeit mehr
für solche unnötige Wartereien. Ich musste mich nach den streng ausgearbeiteten
und festgelegten Tagesabläufen richten… und die wurden nicht weniger.
Zu meinem Leidwesen entdeckte mein Mann eines Tages im Radio
auch noch eine deutschsprachige Sendung, wo man nach einigen wichtigen
Informationen, für ein wenig geistige Erfrischung sorge getragen wurde. Jeden
Tag erklangen zehn neue Fragen aus unterschiedlichsten Wissensbereichen, die
von den zahlreichen Zuhörern, mal mit Leichtigkeit, mal etwas mühselig
beantwortet wurden. Nach erfolgreicher Lösung bekam man eine Nummer, der
wiederum mit ein wenig Glück einigen Außererwählten, verlockende Sachpreise
oder Gutscheine beschert hatte.
Erst jetzt brach der Stress so richtig aus.
Pünktlich um acht Uhr morgens saßen wir schon am
Frühstückstisch, und dabei fieberten wir den
geheimnisvollen Fragen entgegen.
„ Geburtsort von Verdi? …Wer war der erste Astronaut von
Vereinigten Staaten? ...Was essen die Japaner zum Frühstück? … Wie viel Beine
hat ein Tausendfüßler? Usw…usw…
Unsere Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren -
durchforschten die längst abgelegten und eingebrannten Stationen - damit unsere
Finger schnellstmöglichst die angegebene Nummer wählen konnte, bevor uns
eventuell ein anderer Mitspieler zuvorkam.
Zwischendurch ein schluck Kaffee zur Stärkung…ein schneller
Blick ins Atlas… und unsere sichtbar angespannten Gesichtzüge verrieten die
völlige Konzentration.
Woche für Woche durchlebten wir diesen morgendlichen
geistigen Stress, achteten sehr genau auf alle gelösten Fragen, sowie falschen
Antworten und hofften auf eine angemessene Entschädigung für unsere Bemühungen.
Unter ihnen gab es tatsächlich ein paar sehr verlockende und
verführerische Angebote, nämlich ein Wellnessgutschein in einem vier Sterne
Hotel. Schon alleine der Gedanke daran löste bei mir den dringenden Wunsch aus, diesen Gutschein unbedingt besitzen zu
müssen, denn ich sehnte mich nach ein wenig Ruhe. Ja, Ruhe !!!
Und eines Tages war es dann soweit.
Die Nummer 8 - das war ich - erhielt als Belohnung die
Möglichkeit, einen ganzen langen Tag lang in lauwarmen Wasser zu plantschen,
bei der Saunabesuchen die letzten „Wasservorräte“ loszuwerden, auf harten Steinen laufen zu dürfen und unter
die kalte Dusche, - oder mit festgefrorene Eismasse - sich bis zu unterschiedlichsten
Hautverfärbungen fit zu reiben. Wunderbar…!
Erwartungsvoll suchte ich die vornehmen Räumlichkeiten auf,
und nahm mir ganz fest vor,
eine totale Entspannung anzustreben, um in einer völliger
Harmonie zerfließen zu können.
In Begleitung von leiser und sanfter Musik, streckte ich
mich erstmals glücklich auf die bequeme Liege aus. Endlich. Dabei schürfte ich
den so gesunden Kräutertee, der eigentlich nach verfaultem Gras schmeckte.
Ja, so könnte man es aushalten, dachte ich mir träumerisch.
Das wäre doch das ideale Rentnerleben. Ruhe, Entspannung und eine vollkommene
körperliche sowie geistige Erholung.
Haben wir nicht immer schon davon geträumt?
Na dann, kosten wir es doch mal einfach aus, führte ich
meine Gedanken weiter.
Ein kurzer Blick auf die Wanduhr verriet mir aber, dass ich
theoretisch schon eine ganze Weile damit beschäftigt gewesen war - wie ich nun
diese wertvollen Stunden für mich nutzen würde - aber noch nichts dafür getan
habe.
Schnell sprang ich auf und betrat die viel zu warme Sauna.
Nach kürzester Zeit, trieb mich aber der übermäßige Schweißfluss zur Flucht.
Bei einer kalten Dusche, wobei mir alle Nackenhaare zur Senkrechtstand
gezwungen wurden, normalisierte sich langsam meine Körpertemperatur. Um mein
Kreislauf noch mehr ins Schwung zu bringen, lief ich ein paar mal mit
zusammengebissenen Zähnen durch die glitschigen Steine rum und tauchte dann
genüsslich in den warmen Becken ein. Köstlich…
Anschließend folgte wieder ein Dampfbad…eine kalte Dusche…dann
noch ein „Gesundheitstee“… kurzer Aufenthalt auf der Liege…usw. Dies alles
tätigte ich drei, bis viermal in kürzester Zeit in eine streng eingeteilten
Reihenfolge, und das mit einem Schnelldurchlauf.
Der erneute Blickkontakt mit der Wanduhr bestätigte mir
diese Tatsache. Es sind gerade mal zwei Stunden vergangen, seit dem ich
angefangen habe mich zu „erholen“…und ich war
schon komplett durch mit dem ganzen Programm… und das mehrmals
hintereinander.
Und erspannt…? War ich auch nicht so richtig. Im Gegenteil.
Plötzlich übernahm
die Uhr die Herrschaft über mich und beanspruchte meine völlige Aufmerksamkeit. Immer wieder
blickte ich auf dem Sekundenzeiger, der mit spöttischer Schnelligkeit mir davonzulaufen schien.
Ich rechnete.
Wie viel Zeit sollte ich den noch hier verbringen?
Was hätte ich den alles noch machen können, in diese Zeit?
Ich wurde immer unruhiger…, und auf einmal packte ich
schnell meine Sachen zusammen.
Ich konnte einfach nicht anders…ich konnte meine Ruhe nicht
mehr finden, weil ich selber infiziert war, und zwar von dem Virus, den man
„Rentnerstress“ nennt.
Donnerstag, 28. Mai 2015
Mittwoch, 18. März 2015
Donnerstag, 19. Februar 2015
Garten-Idylle
Sonntag, 25. Januar 2015
Montag, 29. Dezember 2014
Winter
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Dienstag, 1. Juli 2014
Sonntag, 11. Mai 2014
Mittwoch, 26. März 2014
Donnerstag, 20. März 2014
Freitag, 21. Februar 2014
Abonnieren
Posts (Atom)